Vielleicht ist im Rahmen der Zöliakie-Diagnostik oder im Gespräch mit anderen Betroffen schon mal der Begriff „Marsh“ gefallen und du fragst dich, was das überhaupt bedeutet.
Mit den Marsh-Kriterien wird angegeben, wie weit eine für Zöliakie typische Schleimhautveränderung bereits fortgeschritten ist.
Hier erkläre ich dir, wie die Schleimhautveränderungen bei Zöliakie aussehen und was man unter der Marsh-Klassifikation bzw. den Marsh-Kriterien genau versteht.
Aber fangen wir vorne an - wie kann man überhaupt feststellen, ob sich die Dünndarmschleimhaut verändert hat?
Um eindeutig herauszufinden, ob eine Zöliakie vorliegt, wird neben einer Blutuntersuchung auf die Zöliakie-spezifischen Antikörper auch eine Magenspiegelung gemacht. Dabei werden kleine Proben (Biopsien) aus dem Zwölffingerdarm, dem obersten Abschnitt des Dünndarms, entnommen. Diese werden dann vom Pathologen, dem Facharzt zur Begutachtung von Geweben und Zellen, weiter untersucht. Um die Schleimhautzellen und den Aufbau der Schleimhaut selbst beurteilen zu können, werden die Gewebeproben in sehr dünne Scheiben geschnitten und mittels spezieller Techniken angefärbt. Dann kann der Pathologe unter dem Mikroskop genau sehen, ob und welche Veränderungen bestehen.
Wie entstand der Begriff „Marsh-Klassifikation“?
Der britische Pathologe Michael N. Marsh hat in den 80-er Jahren als erster die Übergänge von einer gesunden und aufgebauten Schleimhaut bis zum Vollbild einer kompletten Zottenabflachung bei Zöliakie beschrieben. Der österreichische Pathologe Georg Oberhuber hat diese Beschreibung dann nochmals überarbeitet. Die Marsh-Oberhuber-Klassifikation, meist kurz nur als Marsh-Klassifikation bezeichnet (1), ist heutzutage die Grundlage, nach der die Biopsien bei Verdacht auf Zöliakie beurteilt werden.
Wie ist die Dünndarmschleimhaut normalerweise aufgebaut?
Zunächst ist der Dünndarm nur ein langer, gewundener Schlauch, der den Magen mit dem Dickdarm verbindet. Die Aufgabe des Dünndarms ist die Aufnahme der wichtigen Nährstoffe aus der Nahrung. Um das bestmöglich machen zu können, ist die Schleimhaut mehrfach in Falten gelegt. Dadurch wird die Oberfläche des Darms deutlich vergrößert und es steht mehr Fläche zur Aufnahme von Nährstoffen zur Verfügung.

In das Innere des Darmschlauches ragen Querfalten, die so genannten Kerckring`schen Falten. Durch diese Falten verdreifacht sich bereits die Oberfläche. Diese Oberfläche ist nochmals in weitere Falten gelegt: Man sieht im feingeweblichen Schnitt die Höhen und Tiefen der Dünndarmschleimhaut. Diese werden auch Zotten und Krypten genannt. Jede Zelle trägt auf ihrer Oberfläche, die ins Darminnere zeigt, nochmal sogenannte Mikrozotten. Insgesamt wird die Darmoberfläche damit um das 600-fache vergrößert und beträgt schließlich in etwa die Größe eines Tennisplatzes!
Die Schleimhaut ist ein Gewebe, das ständig erneuert wird. Neue Zellen werden in den Vertiefungen der Schleimhaut gebildet und wandern dann aus den Krypten hoch bis an die Zottenspitze. Dort werden sie abgestoßen und ausgeschieden. Die Lebensdauer einer Schleimhautzelle beträgt etwa 5 Tage. Die Zotten ragen fingerförmig in das Darminnere und sind etwa 3-4-mal länger als die Krypte tief ist.
Wie sind nun die Schritte, in denen sich die Schleimhaut verändert?
Im ersten Schritt passiert tatsächlich noch gar nicht so viel. Nach Marsh und Oberhuber kommt es zunächst zu einer Zunahme der Zahl der weißen Blutkörperchen in der Schleimhaut. Die Dünndarmoberfläche stellt den Kontakt zur Außenwelt dar, denn hier läuft der Speisebrei durch und damit gelangen auch mögliche Fremdstoffe und Erreger in den Körper. Daher muss das Immunsystem hier besonders aktiv sein, um dich zu schützen. Eine große Zahl an weißen Blutkörperchen „überwacht“ daher diesen Grenzbereich.
Mit Beginn der entzündlichen Reaktion am Darm auf das Gluten strömen vermehrt Entzündungszellen in die Schleimhaut. Man nennt sie daher auch intraepitheliale Lymphozyten, kurz IELs. Das bedeutet, dass diese weißen Blutkörperchen (= Lymphozyten) in der obersten Schleimhautschicht, dem Epithel, zwischen den Schleimhautzellen zu finden sind. Als normal wird eine Zahl von maximal 25-30 IELs pro 100 Schleimhautzellen (SZ) angesehen.
Marsh-Stadium 1
Vermehrung der intraepithelialen Lymphozyten über 25 IELs /100 SZ. Der Aufbau der Schleimhaut und das Zotten-Krypten-Verhältnis sind in diesem Stadium noch nicht verändert.
Die wirkliche Veränderung der Schleimhaut in ihrem Aufbau beginnt erst mit Marsh-Stadium 2:
Da es zu einer beschleunigten Abstoßung der Zellen an der Zottenspitze kommt, muss der Darm in den Krypten vermehrt Zellen nachbilden. Dadurch werden die Krypten tiefer. Das ist dann der erste Schritt der Veränderung in der Schleimhautarchitektur.
Marsh-Stadium 2
Vermehrung der intraepithelialen Lymphozyten und Zunahme der Kryptentiefe.
Ab Marsh-Stadium 3 sieht man eine Abflachung der Zotten. Wenn die Zellen durch den Entzündungsprozess sehr schnell abgestoßen werden, leben sie nicht lange genug, um die gesamte Zotte aufzubauen. Daher wird die Zotte mit der Dauer des Krankheitsgeschehens immer kürzer. Ist die Entzündung sehr weit fortgeschritten, sieht man keine Zottenerhöhungen mehr, sondern nur noch Kryptenvertiefungen. Das bezeichnet man als komplette Zottenatrophie (Atrophie = Rückbildung).
Das Stadium 3 wird nochmals in Schweregrade mit a – c unterteilt. Dabei bezeichnet man als Marsh 3a eine beginnende Verkürzung der Zotten. Im Stadium 3b findet der Pathologe noch stummelförmige und verbreiterte Zotten. Marsh-Stadium 3c beschreibt die komplette Zottenabflachung.
Marsh-Stadium 3
Vermehrung der intraepithelialen Lymphozyten, die Zunahme der Kryptentiefe und je nach Schweregrad die fortschreitende Abflachung der Zotten.
Das ist also die Veränderung, die man allgemein mit einer Zöliakie verbindet.
Als beweisend für eine Zöliakie gelten die Marsh-Stadien 2 und 3. Dabei muss man sagen, dass Marsh 2 extrem selten zu sehen ist. Meistens sieht man eine gewisse Abflachung der Zotten, so dass üblicherweise Marsh 3a-c bei einem Zöliakie-Betroffenen nachgewiesen werden.

Die Biospie – der Goldstandard der Diagnostik?
Der Pathologe sollte in dem Bericht zu deinen Schleimhautproben auf die eben genannten Aspekte der Schleimhautveränderungen eingehen und sie mit einer Marsh-Klassifikation einstufen. Er stellt aber nicht die Diagnose, sondern kann nur die Auffälligkeiten der Schleimhaut beschreiben. Daher steht im Bericht dann oft: „ist vereinbar mit einer Zöliakie.“ Das heißt nicht, dass der Pathologe sich unsicher ist.
Aber er kennt weder deine Vorgeschichte noch deine Beschwerden und meist auch nicht die Antikörperwerte. Das ist aber alles notwendig, um sicher sagen zu können, dass du eine Zöliakie hast. Denn es gibt bei der Zöliakie nicht wirklich die eine Untersuchung, die alles beweist. Daher ist die Biopsie zwar ein wesentlicher Teil der Untersuchungen, aber nicht der allein ausschlaggebende. Und damit auch nicht der „Gold-Standard“, wie man lange gedacht hat. Die Aufgabe, alle Befunde zusammen zu nehmen, fällt an deinen Gastroenterologen oder deinen Hausarzt, der dann die Diagnose letztlich stellen muss.
(1) Quelle: The histopathology of coeliac disease: time for a standardized report scheme for pathologists.Oberhuber G, Granditsch G, Vogelsang H.Eur J Gastroenterol Hepatol. 1999 Oct;11(10):1185-94.